Interviews

»Falstaff«

Ein paar Fragen an...
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Fotos: Hess. Staatstheater Wiesbaden
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»... und dann ist Verdi einfach ein Teil von mir geworden.«
  • »Tutto nel mondo è burla« – Was genau heißt das?
    Die ganze Welt ist eine... nicht Komödie, aber ein Scherz. Burla. Ich weiß auch nicht genau, was burla ist. Das ist irgendein italienischer Dialekt. Denn es ist alles einfach ein Witz. Auch heutzutage besonders, aber in diese Richtung gehen wir jetzt nicht. Das ist schon Politik!

  • Wie sind die Proben gelaufen?
    Phänomenal! Es hätte nicht besser sein können. Die ganze Atmosphäre, die Kollegen, das Team. Schon lange hatte ich nicht so viel Spaß gehabt. Diese Atmosphäre, die wir gemacht haben und bei den Proben hatten, war phänomenal! Meine Kollegen, Gold pur!

  • Sie haben schon sehr viel Verdi gemacht in Ihrer Karriere. Woher kommt Ihre Faszination mit Verdis Werken?
    Bereits als ich als Student angefangen habe – ungefähr 1989 – hat meine Lehrerin mich schon in der ersten Stunde in die Richtung gelenkt. Sie meinte ich habe eine sehr gute Verdi-Stimme. Dann hatten wir, statt Vokalisen am Anfang der Stunde, eine Arie aus Verdis »Don Carlo« geprobt, die Arie des Rodrigo. Und so habe ich mich fast vier Jahre lang eingesungen. Und dann ist Verdi einfach ein Teil von mir geworden.

  • Wie viele Rollen von Verdi haben Sie denn schon gespielt?
    Ich glaube, er hat 23 Opern geschrieben. Manche sagen 24. Sagen wir 23! Von denen habe ich 20 gespielt.

  • Ist die Rolle von Falstaff denn eine Verdi-typische Rolle?
    Nein, ist sie nicht. Eigentlich ist sie eine ganz Verdi-untypische. Warum? Im Orchester ist fast nichts, nur Rhythmus. Und der Sänger hat die Hauptrolle und Hauptstimme und Hauptmelodie. Aber das ist fast kein Verdi mehr. Das ist sein letztes Werk und da hat er schon angefangen, »Otello« zu komponieren. »Falstaff« ist also ein total untypisches Verdi-Werk.

  • Sie haben bereits 2016 an der Frankfurter Oper die Rolle des Falstaffs gespielt. Haben Sie dadurch eine andere Herangehensweise und fällt es Ihnen schwer sich auf neue Facetten der Rolle einzulassen?
    Eigentlich nicht... nein, gar nicht. Von Anfang an ist er eine betrunkene, besoffene Null! Am Ende sind wir [Menschen] fast alle die gleichen. Er als ruinierter Ex-Page, Adel, oder ganz niederer Räuber – aber im Leben ist das meistens einfach so. C'est la vie. »Falstaff« ist eine sehr realistische Oper.

  • Das könnte vielleicht frustrierend für die Zuschauer am Ende sein, oder?
    Frustrierend für die Zuschauer? Nein! Es ist eigentlich ein Happy End. Wir sind alle zusammen. Jetzt genießen wir unser Leben – so wie es ist.

  • Weil alles Spaß auf Erden.
    Genau!
Interview: Lisa Schmitt (Assistentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)

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Foto: Mira Benser
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Foto: Privat

Das Regieteam

Noah L. Perktold (Inszenierung) & Silvia Gatto (Co-Regie)
»Kurz gesagt: ich hatte noch nie so viel Spaß bei der Arbeit.«
FRAGE AN NOAH

  • Im Januar 2024 inszeniertest du mit Arthur Schnitzlers Schauspiel »Komödie der Worte« erstmals und mit großem Erfolg am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Wie läuft die Probenzeit deiner ersten Opern-Produktion bisher? Was hat dich überrascht, was ähnelt dem Schauspiel?
    Kurz gesagt: ich hatte noch nie so viel Spaß bei der Arbeit. Versteh' mich nicht falsch, die Zeit mit dem Schnitzler war eine ganz wunderbare, eine erfüllende, aber so viel pure kindliche Freude wie auf diesen Proben habe ich noch nie gehabt. Vielleicht liegt es daran, dass ich mit dem »Falstaff« sozusagen in fremden Gewässern, außerhalb meines eigenen Bereichs fische und darum befreiter bin als beim Schauspiel, das ich zugegebenermaßen mit einem gewissen Fanatismus betreibe. Das ist sozusagen meine Religion. (lacht)
    Dann ist es auch einfach wahnsinnig berührend, wenn du langsam merkst, dass diese hochprofessionellen Sänger:innen, die etwas können, zu dem du in diesem Leben niemals fähig sein wirst, dir Schritt für Schritt ihr Vertrauen schenken. Und dann – meine Güte! Du warst ja auch schon auf Opernproben … Wenn die auf der Probebühne zweieinhalb Meter von einem entfernt loslegen... Bei meiner ersten Probe habe ich ewig gebraucht, um mich durchzuringen, endlich zu unterbrechen. Es war einfach zu beeindruckend. Silvia muss mich auch jetzt noch manchmal anstupsen.
»Als Co-Regisseurin ist meine Rolle auf den Proben im Vergleich zu meinen früheren Aufgaben sicherlich proaktiver...«
FRAGE AN SILVIA

  • Du bist seit einigen Jahren als geschätzte Spielleiterin und Regieassistentin am Hessischen Staatstheater Wiesbaden tätig. Wie ist der Prozess nun bei der Co-Regie von »Falstaff«? Wie gehst du an diese Aufgabe heran?
    Als Co-Regisseurin ist meine Rolle auf den Proben im Vergleich zu meinen früheren Aufgaben sicherlich proaktiver: Ich erteile Ratschläge und biete Lösungen an, um die komplexe Bühnemaschinerie des Großen Hauses mit den Bedürfnissen der Oper kompatibel zu machen. Da ich Italienerin bin, konnte ich zudem auf Feinheiten des Librettos hinweisen und dessen Interpretation vertiefen helfen. Ich möchte meinem Kollegen Marvin Mohrhardt sehr dafür danken, dass er sich im letzten Moment bereit erklärt hat, die Regieassistenz für diese Produktion zu übernehmen, sodass ich diese neue Rolle voll und ganz ausfüllen kann.

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Fotos: Karl & Monika Forster
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FRAGEN AN BEIDE

  • »Tutto nel mondo è burla«: Alles ist Spaß auf Erden. Was haltet ihr von dieser Aussage?

    Noah: Spaß wohl nicht unbedingt. Ich vermute, in dem Sinne haben das Verdi und Boito auch nicht gemeint. Auch wenn wir gerne einen Sinn darin sehen würden, ist das Leben doch im Grunde ein grandioser, unbegreiflicher Scherz. Ich glaube, die sogenannten Weisen der Menschheitsgeschichte, Verdi zählt für mich dazu, sind diejenigen, die das nicht nur begriffen haben, sondern auch gelernt haben, darüber zu lachen. Ich kann es leider noch nicht. (lacht) Das ist jetzt aber nur meine Meinung. Keine Sorge, in der Inszenierung lassen wir das viel offener. Leichter. Ich finde das Schmunzeln ist ein Genuss, den man dem Publikum nicht immer wegnehmen sollte. Vor allem ist es eine wunderbar einigende Aussage. »TUTTI gabbati« eben.

    Silvia: »Tutto nel mondo è burla«: ich wünschte, es wäre so! »Burla« bedeutet im Italienischen nicht nur »Spaß«, es ist ein Streich, der jemandem gespielt wird, aber ohne Böswilligkeit, und es ist auch eine leichte musikalische Komödie, ein »musikalischer Witz«. Falstaff ist eine »Burla«, aber die Bühne ist nicht die ganze Welt. Es wäre schön, wenn sich alle weniger ernst nehmen könnten, ohne Bosheit, aber es ist leider offensichtlich, dass dies nur in der magischen und geschützten Welt der Bühne möglich ist. Auch wenn nicht alles Spaß auf Erden ist, kann doch die »Burla-Erde«, das Theater, zwei Stunden der Entspannung und Besinnung bieten, um besser in einer Welt zurechtzukommen, die Leichtigkeit und Unbeschwertheit längst verloren hat.

  • Nach der vorzeitigen Beendigung der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg habt ihr euch im Februar 2024 spontan bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Wie hat sich die Vorbereitung in der extrem kurzen Zeit gestaltet? Gab es eventuell schon Grundbausteine der Inszenierung?

    Noah: Das Theater ist überraschend an mich herangetreten und hat gefragt, ob ich mir das prinzipiell in der Kurzfristigkeit vorstellen könnte. Ich hatte mich noch nicht mal richtig vom Schnitzler verabschiedet, aber ich habe dann den »Falstaff« gelesen und angehört und bin zum Schluss gekommen, dass ich mir das durchaus zutraue. Allerdings nur mit der kompetentest möglichen Unterstützung. Da war klar, wer das sein muss, und Silvia hat sich zum Glück auch dazu bereit erklärt. Ich war dann auch wirklich unheimlich oft unheimlich froh, sie und ihren unerschütterlichen Durchblick, ihren fröhlichen Pragmatismus und vor allem ihre praktische Erfahrung dabei zu haben. Ich halte mich durchaus für einen sehr fähigen Künstler, bin allerdings trotz meiner 28 Jahre oft noch ein ziemliches Kind, hatte nur eine Handvoll Opern von außen und noch nie eine Opernprobe von innen gesehen und stand jetzt plötzlich vor diesem Riesenapparat, der für eine Oper wie »Falstaff« notwendig ist. Aber wenn man eine Persönlichkeit wie Silvia auf seiner Seite weiß, atmet man schon ruhiger. Und dann gibt es ja noch das Duo Infernale: Marianne und Rolf Glittenberg, zuständig für Kostüm- und Bühnenbild. Da ist man schon sehr gut aufgehoben.
    Es gab natürlich bereits den Einheitsraum von »Sturm« und »Zauberflöte«, und die Kostüme waren auch schon in Arbeit. In der kurzen Zeit bis Probenbeginn habe ich dann intensiv mit Rolf und Marianne daran herumgeschraubt. Rolf kam zum Beispiel unter anderem auf die Idee, mir dieses schöne alte Auto auf die Bühne zu parken, damit ich damit spielen kann, und von da aus haben wir dann Stück für Stück, Bild für Bild, versucht unsere Falstaff-Welt zu bauen. Mit der sind wir dann angetreten, und im Laufe der Probenzeit wurde sie dann langsam vom Talent, den Ideen und Phantasien aller Beteiligten besiedelt und hat sich zu dem entwickelt, was man dann auf der Bühne sehen wir. (lacht) Das war jetzt eine lange Beschreibung für »Wir haben geprobt«.

    Silvia: Ich persönlich habe die Aufgabe der Co-Regie zwar auch erst im Februar übertragen bekommen, als Assistenz war mir »Falstaff« aber bereits am Ende der letzten Spielzeit zugeteilt worden. Deswegen hatte ich schon vor einigen Monaten mit den Vorbereitungen begonnen.

  • Was können die Zuschauer:innen von diesem »Falstaff« erwarten?

    Noah: Vor allem ein ganz wunderbares Ensemble. Man kann natürlich nicht Falstaff machen, wenn man keinen Falstaff hat, das ist klar, und was das angeht, ist der Lučić definitiv eine Punktlandung. Was für ein Typ. (lacht) Aber damit ist er eben nicht allein. Die ganze Besetzung ist wirklich toll. Uwe Eric Laufenberg hat in seiner Zeit hier eine starke Truppe aufgebaut, und davon profitieren wir in dieser Arbeit ganz enorm. Viele im Ensemble debütieren ja mit ihren jeweiligen »Falstaff«-Rollen, und vielleicht lernen die regelmäßigeren Besucher:innen des Staatstheaters die eine oder den anderen ihrer Lieblinge auch ein bisschen neu kennen ...
    Und eines sei noch gesagt: ich kann dem Ensemble als zwar spartenfremder, aber doch artverwandter Kollege vom Schauspiel nach dieser Arbeitsbegegnung nur meine größten Komplimente aussprechen. Die spielen wirklich schön. Und dann noch diese Musik dazu. Diese Stimmen! Ganz ehrlich, manchmal packt mich der Neid.

    Silvia: Eine außergewöhnlich talentierte Besetzung, die mit äußerster Professionalität und Aufrichtigkeit unterhalten und amüsieren kann, und das in einer Inszenierung, die meiner Ansicht nach einem der schönsten Musiktheaterwerke, die je geschrieben wurden, vollauf gerecht wird.

  • Tragödie? Komödie? Oder Tragikomödie?

    Noah: Komödie. Klarer Fall! Ich weiß, es gehört sozusagen zum guten Ton als Regie von Abgründen und Aktualität zu reden, und das kann man sicher auch alles darin finden, aber trotzdem ist und bleibt »Falstaff« am Ende des Tages eine Komödie rund um einen dicken Ritter, der sich mit den falschen Damen angelegt hat und folglich zum Schluss von als Feen verkleideten Dorfbewohner:innen vermöbelt wird. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Leicht aber nicht plump, das wäre uns »ein Ziel, aufs innigste zu wünschen«, um beim Autor des Grundstoffes zu bleiben.

    Silvia: Es kommt darauf an, in wen sich das Publikum einfühlt. Für die Frauenrollen ist es eine Komödie, für Ford und Cajus eine Tragikomödie, für Falstaff könnte es eine Tragödie sein, aber mit seinem unverwüstlichen Esprit schafft er es immer wieder, die Situation zu drehen und das letzte Wort zu haben:»Son io che vi fa scaltri. L'arguzia mia crea l'arguzia degli altri.« (Ich war's, der euch erheitert! Hat doch mein Witz euch erst den Horizont erweitert!)

  • Was macht »Falstaff« sonst heute noch aktuell?

    Noah: Da wären wir eben bei dem gefährlichen Wort. Aktuell. Nun, vor allem die Musik. Es gibt einen Grund, dass die Oper immer wieder gespielt wird und Shakespeares »Lustige Weiber von Windsor« so gut wie nie. Sie ist einfach besser. Verdis famose Musik gemeinsam mit Boitos gelungenen Straffungen machen es möglich, durch den wunderbaren Klamauk hindurch zu tieferen Gedanken hinzufühlen sozusagen. Also, zumindest versuchen wir das hier möglich zu machen. Es wäre jedenfalls wenigstens schön, wenn man einen Abend lang gemeinsam ein bisschen lachen könnte. Das ist immer aktuell.

    Silvia: Die Beziehungen der Liebe, Eifersucht, Freundschaft, Anziehung zwischen Männern und Frauen, aber auch die Machtverhältnisse zwischen ihnen, und natürlich die sehr menschliche Angst vor dem Vergehen der Zeit und dem Altern. Aber vor allem, wie stark Frauen im Bündnis miteinander sein können! Denn schließlich sind »Tutti gabbati/alle verspottet«: tutti, das ist der männliche Plural von alle.
Interview: Lisa Schmitt (Assistentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)