Winterreise

Der Dichter Wilhelm Müller (1794 – 1827) hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass sein Gedichtzyklus »Winterreise« einmal zu einem absoluten Höhepunkt, ja zum Inbegriff der deutschen Innerlichkeit werden würde. Hierzu bedurfte es allerdings noch der Musik, dieser innerlichsten Kunst – und die steuerte 1827 (in Müllers letztem Lebensjahr und ohne, dass er es zur Kenntnis genommen hätte) der Österreicher Franz Schubert bei. Erst als Folge romantischer Klavierlieder konnte die »Winterreise« ihre volle Wirksamkeit entfalten. Bis heute bildet sie einen künstlerischen Maßstab, wenn es um den Ausdruck innerer bzw. psychischer Krisen geht. Schubert selbst hatte die »Winterreise« als »einen Zyklus schauerlicher Lieder« angekündigt, ihm gefielen »diese Lieder mehr als alle, und sie werden euch auch noch gefallen.«

Florian Boesch darf als ein idealer Interpret der »Winterreise« gelten. Ihn »nur« als Sänger zu bezeichnen, wäre eine grobe Verkennung: Boesch ist Sprachgestalter, Darsteller und genialer Verkörperer (sollte es das Wort nicht geben, so muss es für ihn erfunden werden). In einer von Boesch gesungenen Zeile steckt immer der ganze Mensch in all seiner Authentizität. Nicht zuletzt deswegen hat er bei den Internationalen Maifestspielen, denen er schon lange ein treuer Gast ist, auch schon mit abseitigerem Repertoire (z. B. Ernst Kreneks »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«) sein Publikum zu begeistern gewusst. Wenn er in diesem Jahr mit der »Winterreise« den Gipfel der Liedkunst erklimmt, wird sein Schauspieltalent auf besondere Weise gefragt sein: Denn in der Einrichtung des Regisseurs Ingo Kerkhof ist Boesch auch szenisch gefordert. Am Klavier begleitet wird Florian Boesch von seinem langjährigen musikalischen Partner, dem schottischen Pianisten Malcolm Martineau.