Interviews

»Vernichten«

Ein paar Fragen an...
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Foto: Valentina Schuster

Sophia Aurich

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Premierenmotiv: formdusche.de
Der Schriftsteller Michel Houellebecq hat ja schon des Öfteren mit äußerst kritischen Aussagen für viel Aufruhe gesorgt und ist neben seinen Werken auch durch diese Skandale bekannt. Demnach ist er gesellschaftlich, als auch von Kritikern sehr umstritten. Wie ist Ihre Haltung gegenüber Houellebecq?
Kritisch beobachtend. Die Diskussion, ob man ein Werk losgelöst von der Person, die es erschaffen hat, betrachten kann ist zweifelsfrei kontrovers. Ich denke, Houellebecq reiht sich auf jeden Fall in die Riege umstrittener Künstler:innen ein. Ich versuche diese Trennung bis zu einer gewissen Grenze zu denken, glaube aber vor allem an Dialektik, Widersprüchlichkeit und Ambivalenz im Theater. Ein Text ist zunächst nichts weiter als ein Text, eine Geschichte. Durch die Vielstimmigkeit des theatralen Prozesses, die Unterschiedlichkeit der Haltungen und Überzeugungen, der politischen, ethischen und normativen Gedanken der an der Proben- und Inszenierungsarbeit beteiligten Personen ergibt sich ein Gesamtkunstwerk, das mit Houellebecq nicht zwangsläufig übereinstimmen muss, ja ihm gar widersprechen kann.

Houellebecq: reine Kunstfigur und Provokateur oder sexistischer, fremdenfeindlicher Rassist?
Ich hatte noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, Herrn Houellebecq persönlich kennenzulernen. Es kann ja kein Zweifel bestehen, dass er große Absicht zur Provokation hegt. Die Provokation besteht darin, dass er zumindest glaubwürdig vorgibt, Rassist und Sexist zu sein. Er hat eine öffentliche Persona »Michel Houellebecq« geschaffen, die mit diesen Worten sicher attribuiert werden kann. Hingegen über die Privatperson zu spekulieren ist etwas müßig und unerheblich im Falle meiner Arbeit. Für mich ist »Vernichten« sein versöhnlichster und sanftester Roman.

Sie sind ja momentan hauptsächlich als Regisseurin aktiv (wie z.B. bei »Der Fall Medea«). Wie kam es dazu, dass Sie für die Bühnenfassung für »Vernichten« beauftragt wurden?
Ich schreibe und bearbeite meine Fassungen als Regisseurin gerne selbst. So zum Beispiel auch bei »Der Fall Medea«, bei der wir die Medea-Figur und ihre Rezeption durch die Zeiten erzählt haben anhand der antiken Medea und eines realen Kriminalfalls von 1999. Das hatten also Menschen am Staatstheater Wiesbaden mitbekommen und so wurde ich für die Bühnenfassung von »Vernichten« angefragt.

Worum handelt der Roman »Vernichten«?
Es geht hauptsächlich ums Sterben, um die Vergänglichkeit, Familien-Biografien und den Beziehungs- sowie sexuellen Frühling, den der Protagonist mit seiner Frau erlebt. Er arbeitet zwar auch in einem politischen Kontext und dort geht es stark um (Cyber-)Anschläge und eine Präsidentschaftswahl – das erscheint mir allerdings nicht der Fokus des Romans zu sein. Besonders auf den letzten 200 Seiten des Romans wird es sehr existentiell – dort wird der Zustand eines Menschen verhandelt, der angesichts einer tödlichen Krankheit sein Leben reflektiert. Und diese Themen in der sprachlichen Brillianz und genauen Beobachtung des Romans für die Bühne zu adaptieren, betrachte ich als sehr reizvoll – ganz unabhängig von der öffentlichen Persona des Autors.

Gab es beim Schreiben der Bühnenfassung und Bearbeiten des Romans etwas Besonderes zu beachten bzw. worauf haben Sie besonderen Wert gelegt?
Unser Anspruch war es, für die Bühne ein dystopisches Zeitgeist-Drama zu schaffen. Die Adaption behält die Chronologie des Romans bei, greift aber u.a. auch die Verschiebung vom Makrokosmos in den Mikrokosmos und die Verwirrung von Außenwelt und Innerlichkeit auf, in der die Absurdität dieser Welt in einer bewussten Unordnung ausgedrückt wird.

Was sind (die größten) Veränderungen, die Sie vorgenommen haben?
Ich habe die 624 Seiten des Mammutromans in drei Akte auf eine Länge von 85 Seiten gebracht. Das ist bereits eine Auswahl und natürlich auch gleichzeitig eine Richtung, die man einschlägt – durchaus ein Eingriff, wenn man so will. Ich habe versucht, Perspektivwechsel einzubauen, um einen Dauermonolog der männlichen Hauptfigur Paul zu vermeiden, möglichst dialogisch zu werden und verschiedene Erzählperspektiven zu zeigen. Es gibt in dem Roman immer wieder Traumsequenzen. Diese haben mich am meisten fasziniert. Mein Versuch war es, die klaustophobisch, abgründig-surreale Stimmung insofern in den Text einfließen zu lassen, als dass sich Realität, Gedanken und Träume kreuzen, fließend ineinander übergehen und man manchmal vielleicht nicht weiß, ob Paul sich das gerade vorstellt oder es tatsächlich passiert.

Interview: Lisa Schmitt (Assistenz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)